Ausgabe November-Dezember 2023

D wie … Dazwischen, Dramaturgie und do or die

Wie lässt sich dramaturgische Praxis definieren und verorten? Die freie Tanzdramaturgin Isabel Gatzke denkt über ihr Berufsfeld nach, das von prekären Strukturen geprägt ist und sich an einem episodischen Zwischenort befindet. Eine Reflexion über das mitunter schmerzhafte Wissen über die Endlichkeit dramaturgischer Praxis.

Text: Isabel Gatzke
Tanzdramaturgin

 

Im Jahr 2020 erscheint ein Sammelband mit dem Titel Postdramaturgien. Die Herausgeber*innen Sandra Umathum und Jan Deck fragen sich darin gemeinsam mit den Autor*innen »wohin Dramaturgie sich bewegt (hat), was es ist, sein kann oder angesichts heutiger künstlerischer wie gesellschaftspolitischer Umstände sein sollte«.1 Beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses fällt mir auf, dass sich eine Formulierung in den Titeln der Beiträge häuft: »Dramaturgie als …« – als gesellschaftliches Handeln (Herbordt/Mohren), als systemische Praxis (Dreier) und als Kollaboration (Ruhsam). Dramaturgie scheint als Praxis also nicht unbedingt alleinzustehen, sondern sich durch eine Offenheit gegenüber anderen theoretischen sowie praktischen Disziplinen auszuzeichnen, gleichzeitig schillernd und parasitär. Die Formulierung »Dramaturgie als …« lädt ebenso ergänzende oder widersprüchliche Inhalte und Methoden in das Feld der Dramaturgie ein, wie es die Positionierung der Dramaturgie2 im Dazwischen tut: zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kunst und Vermittlung, zwischen Künstler*innen und Institutionen. Eine lange Liste an mehr oder weniger attraktiven Schnittstellen, die der Dramaturgie zugeschrieben werden. Sie leiten sich aus multiplen Lebens- und Arbeitsrealitäten ab, entlang derer sich (Prozess-)Dramaturgie begrenzen und spezifizieren lässt. Was nach dieser Kategorisierung bleibt, ist ein Eindruck von Dramaturgie zwischen den Stühlen, weder das eine noch das andere. Nach mehreren Jahren als freischaffende Tanzdramaturgin erscheint mir dieses Dazwischen wie eine Falle. Ein Ort an dem die Kritik auf wackligen Beinen steht und von dem aus sich kein Standpunkt formulieren lässt. Um der Dramaturgie als Praxis gerechter zu werden, schlage ich vor, das Dazwischen zeitlich und nicht räumlich zu denken: (Prozess-)Dramaturgie als Episode im Leben vor und nach anderen Episoden, pardon my linear thinking. Die meisten Tanzdramaturg*innen, die ich kenne, haben sich zuvor in einem anderen Bereich professionalisiert. Sie sind Kultur- oder Tanzwissenschaftler*innen, Philosoph*innen oder Tänzer*innen, sie kommen aus einer Festanstellung als Dramaturgin am Theater oder sind Autodidakt*innen ohne institutionalisierte Ausbildung und positionieren sich mit diesen Erfahrungen in der Berliner Tanzszene. Leider ist die Arbeit als freischaffenden Tanzdramaturg*in auf vielen Ebenen nicht unbedingt nachhaltig und je nach sozioökonomischem Hintergrund gibt es gute Gründe mit dieser Position zu hadern. Sogar für die mit dem großen Glück, mit Choreograf*innen und Künstler*innen zusammenzuarbeiten, die ihre Arbeitsweise öffnen und an wirklichem Austausch interessiert sind, ist es schwer, in der bestehenden Förderstruktur ausreichend Geld zu verdienen. Insbesondere jetzt, wo durch die Coronapandemie angestoßene Förderprogramme für recherche und prozessbasiertes Arbeiten auslaufen – ein gefühlter Luxus, der es vielen Dramaturg*innen ermöglicht hat, die Arbeit, die sie ohnehin tun, finanziell zu kompensieren. Das ist einer der möglichen Gründe, warum Dramaturg*innen die freischaffende Arbeit (wieder) aufgeben – sie nehmen feste Anstellungen an Theatern und Produktionshäusern an oder verlassen das Feld komplett. Das sich langsam und unter Umständen schmerzhaft einstellende Wissen um die Endlichkeit dieser Praxis unter den gegebenen Umständen macht die Dramaturgie als Praxis für mich zu einer Episode zwischen anderen: Es gibt Relationen, Praktiken und Auseinandersetzungen, die vor der Arbeit als freischaffende Dramaturg*in stattfinden und solche, die danach kommen. Gleichzeitig bleibt diese Episode durchlässig. Die Dramaturgin und Leiterin des ada Studios, Gabi Beier, sagte einmal, dass man immer Dramaturg*in bleibt, egal womit man den Lebensunterhalt verdient. Es ist eine Art zu schauen und zu denken, die man lernt und üben kann, die sich verändert, verfeinert und bleibt. Ich mag diesen Gedanken, der sich für mich komplementär zu Ana Dubljević’ Definition von Dramaturgical Thinking verhält: »[…] term signifying a practice of dramaturgy inside the process, production and dissemination of the performance, present equally in creative, organizational, financial and interpersonal layers of the work, which is practiced in a group by all participants, together, or without a dramaturge.«3 Wenn ich also die Dramaturgie als Praxis im Verhältnis zu einem Dazwischen verstehe, so ist dies ein zeitliches – vor und nach einem Horizont anderer Tätigkeiten, während man vielleicht immer Dramaturg*in bleibt.

 

1 Sandra Umathum, Jan Deck (2020). Postdramaturgien. Berlin: Neofelis.

2 Die verschiedenen Nutzungen des Begriffs Dramaturgie in diesem Text orientieren sich an der Kategorisierung Notions of Dramaturgy von Ana Dubljević.

3 Ana Dubljević (2021). The Feminist Pornscapes. On feminist dramaturgical thinking in dance and performance practice. Belgrad: STATION Service for contemporary dance.

 

Die verschiedenen Nutzungen des Begriffs DRAMATURGIE in diesem Text orientieren sich an der Kategorisierung Notions of Dramaturgy von Ana Dubljević.
Dramaturgy inside the process, »process dramaturgy« — meaning dramaturgy of methodologies, concepts, tools, approaches to the problems and decision making, but also structural and economical organization of the work, work ethics etc., all practised inside the process of making the performance.
Dramaturgy of the piece itself, »production dramaturgy« or »stage dramaturgy « — meaning how the piece produces its meaning; the means developed to achieve a particular communication of the piece with the audience, framing, montage, setup etc.; how that what we see and experience within the piece works.
Dramaturgy, usually used in plural — »dramaturgies« — covering a broader context, a term that is not necessarily focused on concrete and detailed analysis of one specific work, but thrives on the level of proposed ideas; a term standing for particular aesthetics, philosophy and/or politics of several artists or works; a term denoting a specific way of proposing possible worlds.
Dramaturgy — a general term used to indicate the job of a dramaturge; a general term used to represent some, or all the above.
Dramaturgical thinking — a term signifying a practice of dramaturgy inside the process, production and dissemination of the performance, present equally in creative, organizational, financial and interpersonal layers of the work, which is practiced in a group by all participants, together, or without a dramaturge.

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